St. Brandans wundersame Seefahrt

HIER BEGINNT DAS BUCH VON ST. BRANDAN UND WAS FÜR WUNDER ER ERFAHREN HAT

E s war einst ein heiliger Abt, der hieß Brandan und war aus Irland gebürtig. Und der war in einem gar würdigen Kloster. Und derselbe heilige Abt St. Brandan stieß einstmals auf ein Buch. Darin fand er von großen Wundern geschrieben, die Gott geschaffen hat im Himmel und auf der Erde und in dem Meer. Und er fand auch darin geschrieben, daß drei Himmel wären und zwei Paradiese und vier Fegefeuer und manch wildes Land und manche wilden Menschen. Er fand auch darin geschrieben, daß zwei Welten wären und daß eine Welt unter uns wäre unter der Erde, und wenn es bei uns Nacht wäre, so wäre es bei ihnen Tag. Er fand auch weiter mehr darin geschrieben, daß große Wunder in dem Meer wären und besonders, daß Fische in dem Meer wären, die so alt und groß würden, daß große Wälder oder Gehölze auf ihnen wüchsen. Er fand auch darin geschrieben, daß Judas jeden Samstag während der Nacht durch das Erbarmen Gottes eine Ruhepause von der Höllenpein hätte. Und das wollte er nicht glauben und nahm das Buch und verbrannte es. Und während er bei dem Feuer stand, da kam zu ihm ein Engel vom Himmel und sprach zu ihm: »Brandan, Brandan, warum hast du die Wahrheit verbrannt? Glaubst du nicht, daß Gott noch größere Wunder tun könnte als die, die du in diesem Buch gelesen hast? Und deshalb gebiete ich dir bei dem lebendigen Gott, daß du dich bereit machst, denn du mußt all die Wunder erfahren, die du in dem Buch gelesen hast, und die Wunder, die danach noch in diesem Buch geschrieben standen. Und du mußt auch neun volle Jahre hintereinander auf dem Meer fahren und da die Wunder finden, damit du erkennst, daß du die Wahrheit verbrannt hast.«

Darüber erschrak St. Brandan gar sehr und wollte gehorsam das tun, was ihm der Engel verkündet hatte. Der Engel fuhr zum Himmel. St. Brandan bat da unsern Herrn, daß er ihn in seiner Hut bewahren wolle, so wolle er gern sein Gebot vollbringen und gehorsam sein. Und da ließ St. Brandan ein großes Schiff bereiten und machen. Und ließ dieses mit eisernen Bändern umbinden und nach der Art von Noahs Arche machen. Und ließ so viel Nahrungsmittel und was zur Erhaltung des Leibes für ihn und seine zwölf Klosterbrüder und all ihr Gesinde für die ganzen neun Jahre auf dem Meer notwendig war da hineintragen. Er ließ auch in dem Schiff eine Kapelle machen und weihte die und nahm viele Reliquien mit in das Schiff in die Kapelle. Und nahm da St. Brandan zwölf der heiligsten Klostermönche, die er in Irland fand, die alle freiwillig mit ihm fuhren und ihm gehorsam waren. Die kamen auch alle wieder mit ihm heim außer einem, der in das Paradies gerissen wurde, und der Teufel nahm ihnen auch einen auf dem Meer. Den gewannen sie durch Gott wieder mit ihrem andächtigen Gebet, wie man noch hiernach hören wird, was für große Wunder sie erfuhren, ehe sie wieder heimkamen. Und da ihm das Schiff nun wohl bereitet war mit allen Dingen, die zu einem Schiff gehören, da nahmen sie Abschied von ihren Freunden und setzten sich in Gottes Namen in das Schiff, das man Kiel nennt.

HIER BEGEGNEN ST. BRANDAN UND SEINE BRÜDER EINEM DRACHEN

U nd da fuhren sie auf dem Meer mit großen Sorgen und hängten ihre Segel auf und fuhren sieben Monate, ohne daß sie große Wunder sahen. Aber kurz darauf, an einem Morgen, da sahen sie, wie aus einem Berg im Meer ein Drache auf sie zukam. Der tat sein Maul weit auf und tat, als ob er das Schiff verschlingen wollte. Da erschraken sie gar sehr und riefen da unseren Herrn inständig an. Und da kam ihnen Gott zu Hilfe, und taten sich die Wolken auseinander, und kam aus der Luft ein freundliches Tier. Das hatte eine Gestalt wie ein Hirsch und brannte wie ein Feuer. Und das fuhr geschwind daher und zog den Drachen hinauf in die Luft. Und da schrie der Drache gar grausig. Und so errettete sie Gott von der ersten Gefahr und Not.

HIER KOMMT ST. BRANDAN IN EINEN WALD, DER AUF EINEM FISCH GEWACHSEN IST

D anach kamen sie zu einem Wald, der war grün und lieblich und lag in dem Meer. Und da befestigten oder vertäuten sie ihr Schiff und gingen in den Wald und lasen trockenes Holz für ein Feuer auf. Nun kam einer der Mönche an einen trockenen Baum und wollte den abhauen. Und da er in den Baum schlug, da wurde der Wald zu lauter Wasser und ging rasch unter, daß sie kaum rechtzeitig wieder in das Schiff kamen. Und als sie in das Schiff gekommen waren, da ging der Wald ganz unter. Da sprach St. Brandan: »Dies ist wahrhaftig der Wald, der auf einem Fisch gewachsen ist, von dem ich in dem Buch gelesen habe, das ich verbrannte. Darin habe ich nun wohl die Wahrheit gefunden.« Und da der Wald unterging und der Fisch untertauchte, da hätten die Winde des Meeres sie beinahe ertränkt, wenn Gott sie nicht ständig in seiner Hut gehabt hätte. »0 weh«, sprach St. Brandan, »wie ist dieser Fisch so manches Jahr alt, daß dieser Wald auf ihm gewachsen ist!« Und da baten sie unseren Herrn, daß er ihnen doch wieder vielleicht an Land helfe. Das war die zweite Not.

HIER KOMMT ST. BRANDAN ZU EINEM ANDEREN DER NEUN FEGEFEUER

D anach kamen sie an eine Stelle. Da sahen sie einen großen See, um den liefen Geister, die waren wie Menschen. Da fragte St. Brandan sie, was sie da täten. Da sprach eine Seele: »0 weh Brandan, wir erdulden großes Leid von Frost und Hitze und müssen das bis an den Jüngsten Tag, weil wir so wenig Mitleid mit den Armen gehabt haben; und tun uns der Durst und die Hitze so arg weh, daß es kein größeres Leid geben kann. Und obwohl uns der See so nahe ist, können wir seiner doch nicht genießen, um uns damit ein wenig zu kühlen. 0 weh, lieber Brandan, bitte Gott, daß er uns um seiner heiligen Marter willen von diesem großen Leiden befreie!« Da bat St. Brandan unseren Herrn, daß er den armen Seelen erlaube, sich ein wenig abzukühlen. Das gewährte ihm Gott und vergönnte den armen Seelen, daß jedem ein guter Schluck Wasser aus dem See zuteil wurde und jeder mit einer Hand einen Guß des Wassers auf sein Haupt tat. Da verneigten sich die Seelen voller Freude vor St. Brandan und dankten ihm eifrig, daß er ihnen die Gnade und den Trunk von Gott dem Herrn erworben hatte. Danach schied St. Brandan von dannen. Und da er von dannen schied, da schrien die armen Seelen so sehr von Herzen, daß es St. Brandan gar erbarmte und ihm die Augen überliefen. Da sprach St. Brandan zu seinen Brüdern: »Dies ist wahrhaftig eines der neun Fegefeuer.«

HIER KOMMT ST. BRANDAN ZU DEM IRDISCHEN PARADIES

D a fuhr St. Brandan mit seinen Brüdern auf dem Meer weiter und kamen Sie zu einer Insel. Die war so finster, daß sie weder Himmel noch [ihre] Richtung sehen konnten. Und war der Boden reines Gold und grün und waren da viele Edelsteine, Saphire, Adamas und andere Edelsteine. Und die waren dunkel von dem Schaum, den das Meer da geschlagen hatte. Und da lagen sie wohl zwölf Tage ohne Feuer und Licht. Und sie konnten nicht von dannen kommen; da gingen sie aus dem Schiff und kannten und wußten nicht, wohin sie sollten. Und da kamen sie an einen Bach mit Leitungsröhren. Da gingen sie hinein und kamen in den schönsten Saal, den je ein Mensch sah. Dessen Wände waren von Gold und waren die Säulen von Karfunkeln und das Dach von Pfauenfedern. Und es strahlte darin so licht und heiter wie die Sonne. Und vor dem Saal entsprang ein Brunnen, der hatte vier Flüsse: in dem ersten floß Wein, in dem anderen Milch, in dem dritten Öl und in dem vierten Seimhonig. Und von diesem Anblick hatten St. Brandan und seine Brüder große Freude. Und von dem Brunnen hatten alle Blumen und Kräuter ihre [Heil-]Kraft gewonnen. Auch so war in demselben Saal ein gar feines Gestühl; das war schön ausgekleidet mit Fellen und Seiden und mancherlei in dem Saal, das man sich nur denken kann. Nun war unter ihnen ein Mönch, der stahl in dem Saal gar einen mit Kupfer beschlagenen Pferdezaum. Und das geschah wahrlich in einem Zustand des Wahnsinns, daß er nicht wußte, was er tat, und das war ihm nachher wohl sehr widerwärtig, wie man hiernach noch hören wird, wie es ihnen mit dem Dieb erging. Danach gingen sie weiter. Und da sahen sie aber eine schöne, feine Burg. Die war viel schöner als die erste Burg oder der Saal, in dem sie gewesen waren. Und die Burg leuchtete so schön, daß sie einem Land wohl Licht von Gold und Edelsteinen hätte geben können. An die Stätte kam nie Regen noch Schnee noch Unwetter. Es ist immer lieblich und schön. Vor der ersten Burg und vor dem ersten Burgtor, da saß ein alter Herr, der hatte einen Bart; der hieß Enoch. Und vor dem anderen Burgtor saß auch ein alter grauer Herr mit einem Bart; der hieß Elias. Und vor dem dritten Tor, da stand ein gar schöner Jüngling. Der hatte ein rotes Gewand an und ein feuriges Schwert in seiner Hand. Und derselbe Jüngling sprang unter St. Brandans Mönche und riß unter ihnen einen gar heiligen Mönch zum Tor hinein und verschloß das Tor. Als das St. Brandan und die anderen Mönche sahen, erschraken sie alle und gingen bald von dannen und trauerten sehr um ihren Bruder, der ihnen genommen worden war. Die Mauern an der Burg waren so hoch., daß sie die Zinnen nicht sehen konnten, und so strahlend und klar, daß es wohl niemand beschreiben kann. Da verstand St. Brandan wohl, daß es ein Paradies war. Und als sie von dem Paradies kamen, da kamen sie wieder an dieselbe Stätte, wo die finstere Insel war. Da sah ein Mönch, daß der Boden reines Gold war und grün und lauter Edelsteine. Darüber waren sie alle erfreut und gewannen so viel Gold und Edelsteine, daß sie danach manche schöne Kirche damit erbauten. Und da gewannen sie genug Gold und Edelsteine aus der Wüste und dem Glanz des Meeres. Und da leuchtete das so schön, daß sie damit alle wohl in der Finsternis sahen und schieden von dannen und fuhren weiter.

HIER NIMMT DER TEUFEL IHNEN EINEN BRUDER; DEN GEWINNEN SIE ABER MIT GEBET ZURÜCK

A ls sie nun genug Gut in ihr Schiff gebracht hatten, da wandten sie sich ab und fuhren weiter auf dem Meer. Und als sie weit auf das Meer kamen, da hörten sie ein grausiges Getöse und ein Sieden, daß es ihnen schien, als ob Himmel und Erde zusammenbrechen wollten. Da kam ein Donnern und ein Blitzen, daß die Brüder alle fast verzweifelt waren. Und in dem Getöse, Sausen und in dem Gewitter kam der Teufel mit einem großen Geschrei und jammerte, daß es in die Lüfte erscholl. Und da er in der Luft und nahe an das Schiff kam, da schrie er: »Brandan, du mußt mir den Dieb hierlassen!« Und damit nahm er den Mönch, der den Zaum in dem Paradies stahl, und band ihn an den Zaum und führte ihn hinweg zum Tanz über Stock und Gebüsch und tat ihm arg weh, daß ihm der Diebstahl wohl zu bitter ward. Und da er ihn zur Hölle brachte, da baten St. Brandan und alle seine Brüder unseren Herrn Jesus Christus christlich mit weinenden Augen um ihren Gesellen. Und St. Brandan sprach: »Ach lieber Herr, was ist es, das du in diesem Elend über uns verhängst, daß uns der Teufel so schändet? Denn nun kommen wir nie mehr von hier weg, es sei denn, wir bekämen unseren Bruder wieder.« Und fielen da alle auf ihre Knie nieder und baten sie Gott so andächtig, lang und fest, daß er ihre Bitte nicht ungewährt lassen mochte. Und da sahen sie ein Licht wie ein feuriges Horn schweben; daraus rief eine Stimme und sprach: »Brandan, was klagst du mich an? Ich habe dir doch nichts getan. Der Teufel hat dir einen Bruder genommen. Dazu hatte er ein gutes Recht, denn er hat einen Zaum gestohlen. Du weißt wohl, daß Adam wegen eines kleinen Obstbisses zur Hölle mußte und mit ihm wohl fünf Welten. Nun ist dein Bruder bei einem eindeutigen Diebstahl ergriffen und zur Hölle geführt worden.« Da sprach St. Brandan: »Lieber Herr, lasse dem Teufel nicht die Gewalt über deinen kleinen Priester, daß der christliche Name von ihm geschändet werde; und was mein Bruder wider dich getan hat, das wollen alle meine Brüder und ich ihm helfen wieder gutzumachen und zu büßen.« Und sie baten Gott so lange, daß er sich ihrer erbarmte. Und da gebot unser lieber Herr Jesus Christus dem Teufel, der ihn genommen hatte, daß er den Mönch wieder auf seinem Rücken zu seinen übrigen Brüdern in das Schiff tragen mußte. Da rief ihn der Teufel und schlug ihn. Das tat ihm so weh, daß er bei Gott wünschte, daß er nie einen Zaum sah. Und als er zu dem Schiff kam, da schrie der Teufel grausig über St. Brandan und sprach: »Weh dir Brandan und all deiner Gesellschaft, denn wir können niemand in unserer Hölle [gegen Gottes Willen] behalten«, und warf den Mönch hart in das Schiff hinunter. Und da war er so schwarz geworden von dem Pech und Harz, das an ihm verhärtet war, daß sie ihn nicht erkannten. Sein Haar und sein Bart waren von dem Pech und Harz hart geworden, und er war jämmerlich zerkratzt von den Stangen und Stöcken, mit denen ihn der Teufel geschlagen hatte. Da segneten sie sich alle. Da floh der Teufel sogleich von ihnen. Da lobten sie unseren Herrn, daß er ihnen ihren Gesellen wiedergegeben hatte.

HIER SIEHT ST. BRANDAN VIELE STERBENDE LEUTE IN SCHIFFEN AUF DEM KLEBERMEER

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a trug sie das Meer an eine Stätte, da sahen sie ein großes Schiff schweben. Darin war so viel Gut, daß die ganze Welt genug haben könnte, wenn es unter sie verteilt gewesen wäre. Und war das allergrößte Geschrei darin, das je gehört wurde; denn die Leute in dem Schiff waren darin verhaftet und die Leute starben darin. Und fielen die Greifen ohne Zahl da ein und trugen die Toten mit sich aus dem Schiff und aßen sie. Und mit der Zeit starben in den Schiffen 64 Menschen. Dieselben sah St. Brandan alle auf den Mastbäumen sitzen und da Gottes Urteil abwarten, wohin sie fahren sollten. Und St. Brandan und seine Brüder sahen da auch, daß eine große Schar Teufel kam und auf die Seelen wartete, die ihnen zugehörten. Und die Teufel nahmen da 64 [61] Seelen und St. Michael waren nicht mehr als drei Seelen. Das beklagte St. Brandan still für sich, daß dem Teufel gar so viele Seelen zuteil wurden und St. Michael so wenige, die Gott zugehörten. Und er sorgte dafür, daß er den Teufel aus dem Schiff trieb und weiterfahren ließ. Da wurde von den Teufeln ein merkwürdiges Lärmen gehört, und sie warfen die Seelen auf und nieder und taten ihnen so weh, daß sie jämmerlich schrien, und führten sie zur Hölle hinweg. Und da kamen die Engel mit wonniglichem Gesang vom Himmel zu St. Brandan und zu St. Michael in das Schiff und nahmen die drei Seelen und führten sie mit großem Schall mit sich hinaus in den Himmel in die ewige Freude, wo Freude ist ohne Ende, Amen.

HIER BEGEGNEN ST. BRANDAN UND SEINE BRÜDER EINER SIRENE

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a dies nun alles ein Ende nahm, da fuhren sie aber weiter auf dem Meer. Und da kamen sie in eine große Not, als sie da ein Tier auf sich zukommen sahen. Das hatte den Leib und das Antlitz eines Menschen und war unterhalb des Gürtels ein Fisch, und heißt eine Sirene und ist ein gar liebliches Tier. Und das sang so wohlklingend und war seine Stimme so süß, daß, wer sie hört, der kann sich des Schlafes nicht erwehren und derselbe weiß nicht, was er tut. Und da das Tier auf sie zukam und ihnen so süß sang, da schliefen sie und auch die Schiffsleute, die das Schiff führten, ein und ließen das Schiff treiben. Und die Mönche vergaßen ihrer selbst durch seine Stimme, daß sie nicht wußten, wohin sie fuhren.

HIER FINDEN ST. BRANDAN UND SEINE BRÜDER EINEN HEILIGEN MENSCHEN AUF EINEM RASENSTÜCK IM MEER SCHWEBEN

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Das war den Mönchen aber zuwider, und sie sprachen zu St. Brandan: Wäre er von Gold, sie kehrten nicht wieder um. Da sprach der Mönch, der von ihnen versengt worden war: »Lieber Herr, ich habe noch zwei neue Hüte, die nehmt beide für Euren Hut, damit wir nicht wieder umkehren müssen. Wenn Ihr nämlich [demTeufel] so nahe gewesen wäret, wie ich, ich weiß wohl, Ihr suchtet ihn nimmermehr. Ihn kann doch niemand finden.« Da sprach St. Brandan: »Ich will meinen Hut wiederhaben, wenn Gott will, und will ihn nicht lassen, denn sie trieben noch eine Menge Spott damit, bliebe er ihnen. Es geht ihnen nimmermehr so gut, sie müssen uns weichen, die bösen Höllenhunde.« Da waren sie gehorsam und kehrten wieder um. Und als die Teufel das sahen, daß die guten Mönche wieder zurückgefahren kamen, da erschraken sie und verzagten alle und flüchteten, denn St. Brandan sprach den Psalmen »Deus miseriat nostri et benedicat nobis«. Und wo der Teufel den Psalmen lesen hört, da kann der Teufel nicht bleiben. Das wußte St. Brandan als sicheren Glauben; damit jagte er dem Teufel Angst ein, und das kann auch jeder Mensch tun, der dem Teufel stark widersteht mit einem festen, wahren christlichen Glauben. Der siegt über den Teufel und jagt sie in die Flucht, denn das fand St. Brandan wohl und fand auch seinen Hut an dem Gestade wieder. Und blieb St. Brandan über Nacht auf dem Berg bis gegen den Tag, bis daß sie weiterfuhren.

Da fuhren sie aber weiter auf dem Meer. Und kam gar ein guter Wind; der trieb das Segel mit dem Schiff weit auf das Meer. Da sahen sie einen gar heiligen Menschen in dem Meer schweben. Und der hatte auch keinen anderen Aufenthaltsort, wo er sich aufhielt, als auf einem Rasenstück, auf dem er saß; aber ohne die Kraft Gottes könnte es wegen des Ungestümes des Meeres nicht gewährt haben. Und als der gute Mensch das Schiff auf sich zukommen sah, da floh er vor dem Schiff gänzlich von hinnen. Da ging St. Brandan in dem Schiff her und bat ihn durch Gott, still zu stehen und zu ihm zu kommen, bis er ein wenig mit ihm geredet habe. Da stand das Rasenstück still und kam St. Brandan mit seinem Schiff zu dem guten Menschen. Da fragte ihn St. Brandan durch Gott, wie er dahin gekommen wäre, ob er um Gottes Willen da säße oder wegen einer Missetat dahin geschickt worden sei. Und da sprach St. Brandan, auch wolle er ihm zu Hilfe kommen. Und sagte ihm, daß er Priester sei, ob er nicht eine göttliche Bitte von ihm begehre. Da sprach der gute Mensch: »Du sollst wissen, daß dein Kaplan, den du vor dem Paradies verloren hast, gekommen ist. Und ich sitze auf diesem Rasenstück in diesem Meer [schon] gut 19 Jahre, daß Gott mich gespeist hat mit seiner göttlichen Speise, dessen Gnade will ich auch alle Zeit erwarten und seiner göttlichen Lehre folgen und gehorsam sein. Auch sollst du wissen, daß ich [noch] mehr Brüder habe, die Gott mit seinem Brot speist, [davon] der, der dein Kaplan [ist], gar viel genoß um Gott, daß er dir wiedergegeben wurde. Dieselben Brüder sind in dem Kloster, in dem du auch über Nacht warst. Auch hast du ebenso einen meiner Brüder auf dem Meer auf einem weißen Stein gefunden, und der half dir auch Gott bitten, daß er dir die Dinge gewährte, um die du ihn batest. Da erhörte Gott oft sein Gebet, das er wegen dir tat.« Da sprach St. Brandan: »Heiliger Mensch, nun sage mir von deiner Bruderschaft, die habe ich wohl sehr nach Gottes Gnade streben und ein gutes christliches Leben führen sehen.« Da sprach der gute Mensch: »Ich will dir sagen, wie wir hierher gekommen sind. Eine Stadt liegt nicht weit von Jerusalem, heißt Nazareth. Darin hatten wir ein Kloster. Und waren das Land und die Leute in der Stadt so sündig, daß sie Gott versenkte mit Menschen und mit Gut. Da blieb meine Bruderschaft auf den Steinen bei denen du auch eine Nacht warst. Da gewährte mir Gott Aufenthalt auf diesem Rasenstück und gewährte meinem BruderAufenthalt auf dem weißen Stein, bei dem du auch gewesen bist. Und wegen unserer Sünde sind wir zwei voneinander geschieden. Als das Land unterging, da blieb dieser Rasen, wie du ihn hier emporschweben siehst. Darauf half mir Gott, und ich soll meine Sünde hier büßen, so daß ich nie mehr unter ein Obdach komme, als bis Gott will, so komme ich zu der ewigen Ruhe. Und damit behüte dich Gott, ich rede nicht weiter mit dir«, sprach der gute Mensch zu St. Brandan, »du sollst [dich] nun nach Norden wenden, dann wirst du auch viele große Wunder sehen, die außergewöhnlich sind.«

Als nun der gute Mensch ihnen gewiesen hatte, wohin sie fahren sollten, da kam ein starker Wind. Der trieb sie von dem Rasenstück in einer knappen Stunde wohl an die 100 Meilen weg. Da kamen sie an einen Ort. Da begann das Meer zu lärmen und zu wüten und schlug das Schiff weiter in einen finstern Nebel. An derselben Stelle wallt das Meer in den Abgrund der Hölle. Und da kam Gott in den Wolken und riß das Schiff zurück, damit sie nicht da hinein kamen. Doch so waren sie alle in großen Sorgen, und wären sie nicht mit Gottes Willen gefahren, und daß Gott St. Brandan in seiner Hut hatte und haben wollte, damit er selbst die Wunder erfahre und die Wahrheit finde, die er in dem Buch gelesen hatte, das er verbrannte, was ihn danach sehr oft gereute, so wären sie sehr oft verdorben und untergegangen.

HIER KOMMT ST. BRANDAN ZU JUDAS, DER UNSEREN HERRN VERRIET

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un fuhren sie weiter. Da sahen St. Brandan und seine Brüder einen nackten Mann auf einem trockenen Stein in dem Meer sitzen, der hatte unsägliche Leiden und saß allein auf dem Stein. Und war ihm der Leib so schwarz und gefroren von dem Harz und dem Pech, die in der Hölle an ihn flossen, von den Beinen bis auf die Schultern. Und an beiden Seiten brannte er so stark, daß ihm große Löcher in seinen Leib gingen, da schlugen die Flammen heraus. Und hing ihm ein kleines Tüchlein vor seinen Augen, das vertrieb ihm ein wenig die Hitze. Und ein Hagel fiel oben auf ihn, der kräftigte ihn auch ein wenig. Und auf den trockenen Stein kam er jeden Samstag zur Nacht und war darauf bis an den Sonntag zur Mittagszeit; so kamen dann die Teufel und führten ihn wieder in die Hölle. Und [da] ihn St. Brandan in der großen Pein sah [und] zu ihm gekommen war, da fragte er ihn, wer er sei. Da sprach er: »Ich bin der arme Judas, der Gott verriet, und aus rechter Verzweiflung erhing ich mich selbst. Und hätte ich wahre Reue gehabt, so hätte mir Gott Gnade gewährt. Doch habe ich durch Gottes Erbarmen hier eine kurze Ruhepause bis morgen zur Mittagszeit. So kommen dann die Teufel aus der Hölle und führen mich hin in großes, unsägliches Leid.« Da sprach St. Brandan: »Wie kannst du größere Pein haben als die, die ich hier an dir sehe?« Da sprach der arme Judas: »Sollte ich keine größere Pein als diese haben, so wollte ich nicht klagen. Wie groß sie [auch] ist, so tut sie mir nicht so weh, wie die Pein in der Hölle. Und wenn ich morgen in die Hölle komme, so werfen mich die Teufel in das wabernde Pech, daß ich mich ewiglich [darin] hin und her wälze. Und sind mir durch das Erbarmen Gottes dieser Frost und diese Hitze hier gemacht, daß ich jeden Samstag zur Nacht mit dieser Pein herkomme bis zum Sonntag zur Mittagszeit; so muß ich danach in eine Hitze, die ist so groß, daß ein stählerner Berg wohl darin schmelzen würde. 0 weh, lieber Herr St. Brandan, das ist mein Mahl, zu dem ich muß, und wolle Gott, daß diese Nacht lange währen sollte.« Da sprach St. Brandan: »Kann dir keine Bitte zu Hilfe kommen, das sag mir? So wollen ich und meine Brüder Gott ernstlich und mit allem Eifer für dicht bitten.« Da sprach der arme Judas: »Alles Bitten für mich ist gar verloren, denn Gott will sich nimmermehr meiner erbarmen. Sieh, heiliger Brandan, dieses Tüchlein nützt mir etwas gegen die Hitze; das stahl ich Gott, als ich mit ihm ging und sein Jünger war. Und das reute mich so sehr, daß ich es einem armen Menschen gab. Und daher kommt es mir auch sehr zu guter Hilfe, so habe ich auch Pein darum, daß ich es stahl.« Da blieb St. Brandan die Nacht über bei ihm bis zum Sonntag zur Mittagszeit. Und da erhob sich erst die allergrößte Klage von Judas, die je gehört wurde. Er schrie gar jämmerlich: »0 weh, ach und weh, muß ich aber in die große, unsägliche Pein!« Als das St. Brandan hörte, da ließ er seinen ganzen Reliquienschatz auf den Schiffsbord setzen. Und fielen sie alle auf ihre Knie nieder, denn St. Brandan merkte wohl an den Gebärden des Judas, daß ihn die Teufel holen und wieder in die Hölle führen wollten. Und als nun die Teufel kamen, da schienen die Luft und das Meer ganz feurig, und kamen die Teufel in einem großen Gewitter. Da sprach der Bruder, der den Zaum in dem Saal stahl, mit großer Angst: »Wir sollten uns davongemacht haben.« Und da fuhren die Teufel um das Schiff hin und her und schossen aus ihren Mäulern Rauch, Pech, Feuer und Schwefel, daß sie alle in dem Schiff von dem bösen Geruch beinahe verdorben wurden. Und wo sie über dem Meer hin und her fuhren, da ließen sie große Schwefelstücke fallen, und das brannte in dem Meer, als ob es mit Feuer entzündet wäre. Und da nun die Teufel Judas an sich genommen hatten, da gebot ihnen St. Brandan, daß sie ihn noch eine Weile sitzen ließen. Und bat da St. Brandan Gott sehr, daß er ihm um seinetwillen die Nacht [noch] Aufschub gebe. Das gewährte ihm Gott. Und da ihn die Teufel [noch] eine Weile sitzen lassen mußten, da schrien sie alle jämmerlich über St. Brandan und drohten Judas gar sehr, daß sie ihn desto schlimmer zurichten wollten. Und des Morgens kamen sie mit großem Schall und mit feurigen Keulen und schlugen die an Judas entzwei. Und zogen ihn zwischen sich und taten ihm so große Pein an, daß es kaum zu schreiben ist. Und die Teufel schalten da St. Brandan sehr und sprachen zu ihm: »Ihm muß noch viel Schlimmeres von uns geschehen als zuvor.« »Nein«, sprach St. Brandan, »ich gebiete euch bei dem lebendigen Gott, daß ihr ihm nichts Schlimmeres tut, als ihr ihm vorher getan habt.« Und da fuhren die Teufel mit großem Ungestüm in die bittere Hölle.

HIER KOMMEN SIE ZU DEM PARADIES

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ls sie nun acht Jahre gefahren waren, da kamen sie in dem neunten Jahr in ein Land. Da sahen und fanden sie größte Wonne und allerschönste Herrlichkeit, die auf der Erde sein kann. Und das war herrlich in solcher Fülle, daß man darin alles fand, was eines Menschen Herzen begehren könnte. Da war Korn, Wein und alles, was man an Früchten bedarf, ohne jegliche Arbeit. Da hatte man das Fleisch von Ziegen und allerhand Vieh. Die Fische in dem Wasser gehen selbst an Land zu den Leuten. In das Land kam nie ein Wolf noch ein anderes schädliches Tier. Und ist es da immer grün und herrlich. Und dasselbe Land heißt in der Heiligen Schrift Bona terra und liegt fern von der Welt. Wenn nun Gott nicht wollte, daß sie das Meer dahin trüge, wären sie sonst nicht ohne die Fügung Gottes dahin gekommen. Und als sie in das Land kamen, da war ihnen nicht anders, als ob sie in dem Paradies wären. Und der gar süße und gute Duft nahm ihnen ihre Müdigkeit und Gebrechen. Und da ging St. Brandan mit seinen zwölf Brüdern aus dem Schiff in das Land. Und da sahen sie eine gar schöne, liebliche Burg. Und dieselbe schwebte hoch in den Lüften, daß keine lebende Kreatur dorthin kommen konnte, es sei denn, sie könnte hoch in die Luft fliegen. Und da fanden sie einen hängenden Weg. Auf dem gingen sie mit großer Furcht, bis sie zu der Burg kamen. Und als sie zu der Burg kamen und auf den Berg, auf dem die Burg stand, da sahen sie auf einer Seite des Berges gar viele merkwürdige Tiere liegen und Drachen, Lindwürmer. Denen gebot St. Brandan, daß sie still lägen und ihn in die Burg und die beschauen ließen. Da sahen sie, daß die Burg aus Kristall war. Und war gar viel reines Edelgestein in die Mauern eingearbeitet mit Gold, Kupfer, Erz und Erde. Und sahen [sie] da all die Wunder, die auf der Erde sind, wie Löwen, Wildschweine, Panther, Elefanten, Schlangen und vielerlei Getier, das je das Leben gewann. Die waren in den Mauern herausgearbeitet, gehauen mit erhabenem Bild. Und wer sie zum ersten Mal erblickte, der glaubte nicht anders, als daß sie lebten, und erschrak vor ihnen sehr, so meisterlich waren sie herausgearbeitet; denn sie waren geschaffen, als ob sie in den Wäldern liefen. Eines lag und das andere saß; da waren Bären, Schweine, Hunde, Hasen, Hirsche, Löwen.. Und sahen da noch vielerlei Spiele, die man sich denken kann. Das war alles in den Mauern und Wänden herausgearbeitet. Und an der anderen Seite der Mauer, da waren vielerlei Vögel herausgearbeitet, als ob sie in den Lüften flögen: Adler, Sperber, Geier, Habichte und viele Arten von Vögeln, wilde und zahme, große und kleine, als ob sie lebten. An der dritten Seite sahen sie allerhand Menschen und allerhand Menschenspiele: turnieren, stechen, brechen, beizen, jagen, tanzen, springen, singen, reiten von feinen Frauen, Männern, Königen, Kaisern, Fürsten, Herren ohne Zahl. Und man sah da auch vielerlei Waffen oder Schilde auf Helmen, auf Bannern. Man sah auch da vielerlei Handwerk und was die hier zur Zeit trieben, das sah man alles. Man sah da auch vielerlei Saitenspiel: Lauten, Harfen und was dem Menschen Freude machen könnte, das war alles in der kristallnen Mauer herausgearbeitet. Und da waren die Zinnen auf der Mauer so hoch und so schön klar und glänzten innen und außen wie der Morgenstern. Und in der Burg waren 700 Türen und viele herrliche Säle. Und von der Burg und von dem Berg glänzte das Gold überall wie der Zunder im Feuer. In dem Saal standen auch gar herrliche Betten mit Seiden und Gold verkleidet [und] bedeckt, die hatten vielerlei Farben. Und in der Burg war ein Haus, das hatte einen Fußboden so hart wie Stahl und war blau wie blaues Glas und klar wie ein Brunnen. Darin waren goldene, ausgebreitete Mosaike eingearbeitet und war [er] durchlegt mit Edelsteinen. In derselben Burg ist es hell und viel schöner als die Sonne, und wird [es] auch nie durch Regen naß. Nun sahen sie auch in einem Garten einen Zedernbaum. Der stand auf einem herrlichen Acker; der war grün und schön. Und an dem Baum hingen schöne Trinkgeschirre und Schenkgefäße und ein schöner Tisch, und auf dem Tisch die beste Speise, die man sich denken kann. Auf dem Baum sangen viele Arten von Vögeln [einen] gar schönen und lieblichen Gesang. Und entsprangen auch gar liebliche Brunnen, wo der Quell gar hoch sprang, kühl und klar; und in ihren Strömen gingen gute Fische. In dem Haus war jede Art von Wonne, die es auf der Erde geben kann. Die Wonne, das Haus nahmen sie besonders wahr und schrieb sie St. Brandan besonders in ein Buch. Da sie nun den Berg und die Burg außen innen genau besahen, da sprach St. Brandan zu ihnen: »Hier ist große Wonne und Freude und viel Gold und edles Gestein. Nun sollt ihr euch alle gar wohl in acht nehmen, daß es keinem von euch so ergeht wie unserem Bruder dort, der stahl. Und sollten wir bald in unser Schiff gehen, damit uns der Teufel nicht nachstellt und uns betört.« Da gingen sie schnell aus der Burg.

HIER KOMMT EIN WUNDERLICHES GESCHLECHT ZU ST. BRANDAN UND SEINEN BRÜDERN

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nd als sie zu dem Schiff kamen und sich darin niedersetzten und weiter auf dem Meer fahren wollten, da sahen sie ein gar merkwürdiges Geschlecht auf sich zukommen. Die hatten Häupter wie die Schweine und hatten Hände wie die Menschen und daran Hundeklauen. Und hatten Hälse wie die Kraniche und Bäuche wie Männer und waren unterhalb des Gürtels wie Fische und hatten rein seidene Kleidung an. Und hatte jeder einen Köcher mit Pfeilen an sich hängen und einen Bogen in der Hand. Und eilten zornig zusammen wie die Schweine und kamen zornig mit gestreckten Schwänzen an den Strand auf das Schiff zu. Da freuten sich die Mönche, daß sie von dem Land weg waren und [es] ihnen nicht unterwegs widerfahren war. Da sprach St. Brandan: »Eilt noch mehr mit dem Schiff, daß sie uns nicht erschießen, denn es ist ein gar streitbares Volk, und deshalb möchte ich gerne wissen, ob sie Gott kennen oder nicht. Ich will ihnen von Gott sagen.« Da ging St. Brandan vorne in den Bug des Schiffes und beschwor sie und nannte ihnen Gott und gebot ihnen bei dem lebendigen Gott, daß sie ihnen Friede gäben, bis daß er mit ihnen geredet habe. Da legte ein jeder, sobald ihnen Gott genannt wurde, seinen Bogen nieder und schwiegen alle still außer einem. Der redete unter ihnen und sprach zu St. Brandan: »Du hast viele große Wunder erfahren. Nun hat dich Gott, den du uns hier nennst, hergesandt. Daher sollst du wissen, daß wir den einst besser kannten als du; als er in seiner höchsten Majestät saß, da sahen und kannten wir ihn. Und als Luzifer frevelte und Übles wider Gott tat, da waren wir vor dem Antlitz Gottes. Nun sag ich dir Brandan, du wolltest auch nicht glauben, was du nun siehst, und weißt wohl, daß es dich oft in große Not gebracht hat, denn du verbranntest ein Buch, das die volle Wahrheit sagte. Und deshalb sind [die] klüger, die da glauben, was sie nicht gesehen haben, und daß Gott viel größere Wunder tun und geschaffen haben könnte, wie du wohl weißt, wie Gott zu St. Thomas sprach, da er ihn in seine Wunden greifen ließ, als er nicht glauben wollte. Da sprach er zu ihm: Thomas, du siehst und glaubst und bist selig. Aber viel seliger sind die, die es glauben und nicht sehen und greifen. Daher wisse, Brandan, daß Gott große Liebe auf seine Christenheit verwandt hat, die da gut und recht glaubt.« Da sprach St. Brandan: »Wer hat es euch nun so genau von Gott erzählt?« Da sprach der eine: »Wir waren nahe bei ihm in dem Himmelreich und verloren mit Luzifer die edle, herr liche Gestalt, die Gott uns angelegt hatte, weil wir Luzifers Anhänger waren, als er vom Himmel verstoßen wurde. Denn als sich Luzifer Gott widersetzte, da hatten wir nicht so viel Vernunft in uns, daß wir Gott geliebt oder gefürchtet hätten, und wußten keinen Unterschied, was [für] uns zu tun gut oder böse war. Als Luzifer und die anderen mit ihm verstoßen wurden und als unvernünftige Schweine hinabstürzten, da wollte Gott uns nicht die Engelsgestalt lassen und machte uns die Schweinehäupter, weil wir genauso unvernünftig waren, wie die Schweine sind. Denn ein Schwein weiß nicht, was es tun oder lassen soll, und weiß auch nicht, was es selbst ist; denn es ist auch lieber in dem Kot und in Bächen, als in klarem Wasser. Auch müssen wir Leiber wie die Hunde haben, denn wir hatten im Himmel Hundegewohnheiten an uns; denn wen der Hund nicht kennt, den bellt er an, und wen er kennt, den bellt er nicht an. Genauso taten wir auch im Himmel. Wir ließen Luzifer ungemeldet, als er sich Gott widersetzte, und hinderten ihn auch nicht. Daher hat uns Gott diese Gnade gewährt, weil wir Luzifers Anhänger gewesen sind, und sind nicht wie die anderen in die Hölle gestoßen worden. Gott hat uns diese Strafe gegeben, und haben wir noch die Hoffnung, daß sich Gott einst unser erbarme.« Da sprach St. Brandan: »Wir kommen aus eurer Burg; da ist viel Gold und edles Gestein und viel herrliche Wonne und ist es wie im Paradies. Wir sind auch daraus gegangen, damit wir euch keinen Schaden tun, und haben auch von eurem Gut nichts genommen. Wir kamen dahin aus Unkenntnis und reut uns die Fahrt, dann wäre Gott nicht mit uns gewesen, die Drachen hätten uns verschlungen. Ich möchte auch sehr wissen, woher ihr gekommen wart.« Da sprach einer unter ihnen: »Wir waren in fremdes Land gezogen. Da hatten sich wohl an die sechsthalbhundert [= 550] Scharen in die Straßen gelegt. Mit denen mußten wir streiten. Und die haben uns großen Schaden in unserem Land getan, denn sie ärgern sich sehr darüber, daß wir nicht dieselbe Pein wie sie erleiden. Und was sie uns an Leid antun können, das tun sie. Und kamen ihnen auch wohl an die acht-oder neunhundert Waldschranzen zu Hilfe. Mit denen hatten sie die Straßen versperrt, so daß gar niemand da hinein kommen konnte.« Da sprach St. Brandan: »Was sind Waldschranzen?« Da sprach derselbe: »Das heißt Waldschranzen: die Stangen und die Bäume, damit hatten sie die Wege versperrt, daß wir nie zuvor in so große Not kamen, seitdem wir vom Himmel verstoßen wurden. Brandan, sieh nun dieses schöne Land von uns, und haben wir auch keine andere Pein, als daß wir des gar lieblichen Antlitzes Gottes entbehren müssen und [dessen] beraubt sind. Und nun rede ich nicht weiter mit dir, außer daß ich dich in unser aller Namen bitte, daß du mit uns nach Hause fährst, dort wollen wir euch Höflichkeit und Ehre erweisen.« Da sprach St. Brandan: »Nein, das können wir nicht tun. Wir wollen weiterfahren nach dem Land der Schotten.« Da sprachen sie: »Gott gebe euch gute Winde.« So schieden sie von dannen und nahmen Abschied von dem wunderlichen Geschlecht. Und da wollten sie St. Brandan und seinen Brüdern einen großen Schatz geben. Das wollte St. Brandan nicht und fuhren sie dann in Gottes Namen auf dem Meer weiter.

HIER FAHREN SIE VIER WOCHEN, BIS SIE AN DAS ENDE EINES FISCHES KOMMEN

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ls nun der heilige Abt St. Brandan mit seiner Gesellschaft von dem merkwürdigen Geschlecht schied, da wandte er sich in Richtung Schottenland. Da fuhren sie gar ruhig bis früh am Morgen des elften Tages. Da kam ein gewaltiger Fisch auf sie zu. Der tat, als ob er das Schiff verschlingen wollte, so groß war sein Maul. Und fuhren sie wohl an die vier volle Wochen, bis sie an das Ende des Fisches kamen, so lang und groß war er. Und als sie glaubten, sie seien über ihn hinaus, da brachte er sie erst in große Not, denn er bog den Schwanz zu seinem Maul. Und in dem Ring fuhren sie wohl volle vierzehn Tage, daß sie nie daraus kommen konnten. Und wenn er den Schwanz bewegte, da war der Wasserschwall vor dem Schiff so groß, daß er das Schiff hochhob, als ob er es in die Lüfte tragen wollte, und fiel dann wieder nieder, als ob es in den Abgrund fallen wollte. Demselben Fisch war auch Gehölz und Gras auf dem Schwanz gewachsen. Da waren sie alle in großer Sorge. Und als sie der Fisch aus dem Ring fahren ließ und er von ihnen zog da erhoben sich von dem Schwall die Winde des Meeres, daß man es weit hören konnte. Und die Wellen gingen über das Schiff, daß sie sehr erschraken und beinahe verzagt wären, wenn St. Brandan sie nicht getröstet hätte und ihnen sagte: »Seid frohen Mutes, Gott hat uns aus mancher Not [geholfen]. Wenn der Fisch von uns weggeht, so beruhigt sich das Wasser.« Und mit Ungestüm schlug sie das Meer viele hundert Meilen auf dem Meer hin. Und da beruhigten sich die Wellen und wurde das Wetter so heiß, daß sie alle fast verdorben wären. Und darin lag auch das Schiff still und half ihnen weder Ruder noch Segelbaum, und mußten sie volle vier Wochen dort stillstehen.

HIER KOMMT ST. BRANDAN ZU EINEM ZWERG UND ZU EINEM GUTEN MANN

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a sie nun solch ein großes und Geschrei und Rufen erhoben, da kam ein Zwerg eilig aus einem Wald gelaufen; und konnte das Wasser der Luft keinen Schaden tun. Der sah, wie das Schiff in einer Windschwelle festlag. Da eilte der Zwerg schnell in den Wald. Da lag ein guter Mann; und sagt ihm, daß er das Schiff gesehen habe [und] daß sie Gott und unsere Frau anriefen, und daß es ihm schien, daß es Christen seien. Und sprach, ob er ihnen zu Hilfe kommen wolle. Da sprach er: »Ja«, und war froh, als er hörte, daß es Christen seien. Und gingen beide an das Meer. Da hatte der gute Mann ein kleines Schiffchen. Darin setzten sich beide, und der Zwerg führte das Schiffchen gar geschwind, denn sie waren froh, daß sie ihnen zu Hilfe kommen sollten. Das sah St. Brandan, daß sie in dem Schiffchen dorther auf sie zukamen, und sprach zu seinen Brüdern: »Ich sehe dorther in einem Nebel ein kleines Schiffchen mit einem Segel auf uns zukommen, da vertraue ich auf Gott, daß er uns seine Hilfe sende.« Da kam das Schiffchen gar schnell auf ihn zugetrieben. Da sahen sie in dem Schiffchen den guten Mann und den Zwerg sitzen, der das Schiffchen führte. Und der Bart des guten Mannes war ganz aus wildem Tierhaar gemacht; und der hatte einen Abtstab in seiner Hand. Und denselben Stab gab ihm einst St. Brandan. Und der Zwerg hinten in dem Schiff, der steuerte das Schiff, daß es sehr schnell ging. Und der Zwerg hieß Bottwart und war von gar merkwürdiger Gestalt. Denn er hatte einen mächtigen Bart und hatte gar schönes, langes Haar auf seinem Haupt und sang gar herrlich. Wohl aber verstand niemand seinen Gesang. Er hatte auch einen sehr weiten Mund und seine Stimme erscholl wie ein Heerhorn. Und sein Gewand war ganz aus Seide. Und er war sehr stark, denn er führte das Schiffchen gar geschwind. Und ihm ging auch sein Bart bis auf den Bauch. Und als der gute Mann zu ihnen kam, da sprach der gute Mann zu ihnen: »Geht schnell von hier weg, denn ich höre vier Winde kommen. Wenn euch die ergreifen, so tun sie euch großen Schaden und kommt ihr in große Not.« Da dachte St. Brandan, es wären Trugbilder des Teufels und sprach: »Willst du [uns] nicht zürnen, so bitte ich dich durch Gott, daß du zu uns in dieses Schiff gehst, denn wir haben viele Reliquien bei uns, so wollen wir zu Gottes Lob eine Messe singen.« Da verstand der gute Mann wohl, daß er fürchtete, es wäre ein Trugbild, und fuhr schnell zu ihnen in das Schiff und fiel da kreuzweise vor den Reliquien nieder. Es war ein Auserwählter Gottes. Da empfingen ihn die Brüder mit großer Ehrerbietung und sangen zusammen eine gar feierliche Messe und empfingen sie alle das heilige Sakrament von St. Brandan. Da sagte ihnen der Zwerg, daß die Welt hier ein Ende hätte, und das Lärmen, das sie hörten oder gehört hätten, das sei unter der Erde. Da verstand St. Brandan wohl, daß er die Wahrheit verbrannt hatte, und schrieb alle diese Wunder selbst in ein Buch. Dasselbe Buch findet man noch heutigentags in Irland in dem Kloster, in dem St. Brandan liegt.

HIER KOMMEN SIE ZU EINEM GREISEN MANN UND ERKENNEN, DASS SIE WIEDER IN IHRE HEIMAT GEKOMMEN SIND

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anach hieben sie die Seile von den Ankern ab und richteten die Segel auf. Und führte der Zwerg das Schiff, daß es sehr schnell ging, denn er war gar kräftig. Als sie auf das Meer kamen, da sahen sie auf dem Klebermeer eine Menge Schiffe festliegen. Und danach trug sie das Meer in gar kurzer Zeit an das Gestade. Da sah St. Brandan einen alten, greisen Mann reiten. Der hatte kostbare Gewänder an und war sein Bar mit Gold umwunden. Der hatte einen zerhauenen Mantel an und war der mit reinen Karfunkeln geschmückt, daß man davon des Nachts sah. Und war darin mit Gold und Edelsteinen ein schöner Adler eingearbeitet, der stand, als ob er fliegen wollte. Der Herr war edel, tapfer und war der Herrscher des Landes; und ritt auf einer Mauleselin; die hatte schwarze Zügel. Und die Kleider des Herrn und der Mauleselin waren mehr als tausend Mark wert. Derselbe Herr hieß Hilsprang. Und als ihn St. Brandan ansah, da erkannte er ihn wohl und war von Herzen froh, denn er wußte wohl, daß sie bald an Land kamen. Da sprach St. Brandan zu seinen Brüdern: »Seid frohen Mutes und lobet Gott, wir sind nun hier zu Hause in unserem Land und haben alle unsere Not, so Gott will, überwunden.« Damit kamen sie an den Strand und trugen aus dem Schiff, was sie darin hatten. Da nahmen der Herr und der Zwerg von ihnen Abschied und fuhren von ihnen weg, als sie in ihr Kloster kamen.

HIER KOMMT ST. BRANDAN WIEDER IN SEIN KLOSTER

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ls nun St. Brandan und seine Brüder wieder an Land gekommen waren hin nach Irland, da lief ihnen das Volk entgegen und empfing sie ehrenvoll und gut. Nun hatte St. Brandan all die Wunder in ein Buch geschrieben und nahm das Buch und trug es in das Kloster. Und folgten ihm alle seine Brüder nach, und legte das Buch auf den Altar unserer Frau. Und kam eine Stimme von Gott und hieß ihn willkommen und sprach zu ihm: »Brandan, wenn du willst, so komme.« Da bereitete sich St. Brandan zu einer Messe und sang die mit großer Andacht. Und als die Messe ein Ende nahm, da verschied St. Brandan vor dem Altar und fuhr seine Seele zu Gott in sein ewiges Himmelreich, Amen. Daher sollen wir alle St. Brandan bitten, daß wir nicht ungläubig seien und fest seien in Christi Glauben, so daß wir nie mehr von Gott geschieden werden, AMEN.

 


Das Leben des heiligen Brendan (484 - 578)

St. Brendan, der Schutzheilige von Kerry, wird als der bedeutendste irische Heilige nach dem hl. Patrick bezeichnet. Geboren wurde er 484 in Fenit, einem kleinen Hafen an der Tralee Bay, mit Blick auf die Dingle-Halbinsel mit dem nach ihm benannten Mount Brandon (Cnoc Bréannain: 952 m).
Von früh an eng verbunden mit der See, lernte er dort von Kindesbeinen an vieles, was mit der Seefahrt zusammenhing.

Als Nachfahre der Fir Bolg stammt er von Fergus Mac Roich, König von Ulster ab. Erzogen wurde er von St. Ita von Killeedy, St. Jarlath in Tuam, St. Finian in Clonard und Bischof Erc von Slane, der ihn in der Widderquelle Tobar na Molt taufte.

Als er ein Jahr alt war, kam er nach Killeedy zu St. Ita, die seine Kindheit prägte. Fünf Jahre später wurde er zu Bischof Erc geschickt, bei dem er aufgrund seiner schnellen Auffassungsgabe viel lernte. Danach ging er ins Kloster Clonard, wo er sich mit Columcille anfreundete.

Nach einem längeren Aufenthalt auf den Aran-Inseln lebte er einige Zeit in Ardfert und zog sich dann in eine Gebetszelle auf dem Mount Brandon zurück. Hier reifte sein Entschluss, zu einer Fahrt nach Westen über das Meer zum verheißenen Land der Heiligen aufzubrechen, von dem ihm der Hl. Barintus in Clonfert berichtet hatte.
Zusammen mit vierzehn Mönchen fasste er den Entschluss, das Evangelium zu dem unbekannten Kontinent im Westen zu bringen. Vorbereitet durch vierzigtägiges Beten und Fasten auf dem nahe gelegenen Mount Brandon, segelte er im Jahr 535 los. Die Reise dauerte sieben Jahre, sie wurde niedergeschrieben in dem mittelalterlichen Manuskript Navigatio Sancti Brendani Abbatis.

Die wundersamen Reisen des St. Brendan

Oben am Brandon Creek,
wo St. Brendan in See stach
Von: Ian Stehbens
Am Brandon Creek, dem Strand zu Füßen des Mt Brandon, sticht er mit der St. Brendan, einem Curragh, dem traditionellen irischen Lederboot, und 14 Mönchen in See.

Von den Wundern, denen er und seine Brüder auf dieser Reise begegnen, berichtet St. Brandans wundersame Seefahrt.

St. Brandans wundersame Seereise
Brandon Creek auf Dingle,
hier stach St. Brendan
in See
Von: pilled     

Zurück in Irland, schrieb Brendan alle Wunder, die er mit seinen Gefährten erlebt hatte, in ein Buch und kehrte in sein Kloster zurück.

Viele mehrjährige Seereisen soll Brendan unternommen haben. So wird er denn auch in der Literatur als Seefahrer bezeichnet. Seine phantastischen Meerfahrten, auf denen er auch Amerika entdeckt haben soll, gehörten zu den beliebtesten Heiligengeschichten des Mittelalters. Es wird vermutet, dass die Schilderung seiner Seefahrt im 10.Jahrhundert von gälischen Mönchen im Lothringischen Reich verfasst wurde.

St. Brendan unternahm noch viele Reisen, nicht nur Seefahrten. So gründete er Klöster in Schottland, Wales und sogar in der Bretagne. In Irland gründete er 563 das Kloster Clonfert, außerdem die folgenden Klöster:
Inishglora, auf einer kleinen Insel im Atlantik vor der Küste der Halbinsel Belmullet im County Mayo,
Inchiquin im Lough Corrib in Galway,
und Coney Island im Shannon.

Im Alter von mehr als 90 Jahren zog er zu seiner Schwester Bride nach Annaghdown am Lough Corrib, wo er auch starb. Sie ließ ihn auf seinen ausdrücklichen Wunsch in Clonfert begraben, nicht weit vom größten Strom Irlands, dem Shannon.

Die Legende von seiner Reise berichtet von der Insel der Schafe, dem Paradies der Vögel, der Insel der Schmiede, dem Land der Kristallsäulen, dem Land des Nebels und dem verheißenen Land. 1400 Jahre später segelte Tim Severin mit einem Boot aus Holz und Tierhäuten entlang der Route, die St. Brendan "beschrieb". Er identifizierte diese Stationen der Reise als die Hebriden, die Faröer, Island, Grönland, Neufundland bzw. Amerika.

Quellen:
Die einzelnen Episoden stammen aus dem wunderschönen Büchlein St. Brandans wundersame Seefahrt, erschienen 1987 im Insel-Verlag. Vom Herausgeben Prof. Dr. Gerhard E. Sollbach erhielt ich die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe einzelner Episoden und der darin enthaltenen Abbildungen.
Frontispiz aus: St. Brandans wundersame Seefahrt, Frankfurt a. M. 1987
Ingeborg Meyer-Sickendiek: Gottes gelehrte Vaganten, Augsburg 1980
Sylvia Botheroyd: Irland, Mythologie in der Landschaft, Darmstadt, 1997

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